Gibt es das „typisch weibliche“ Gehirn?
Oft heißt es „typisch Frau“ oder „Frauen sind Multitasking-fähig, Männer nicht“ und Ähnliches. Dabei beruft man sich oft auf das Halbwissen oder die Vermutung, dass sich das “typisch weibliche“Gehirn von dem männlichen Gehirn deutlich unterscheidet. Doch ist das so?
Gibt es das „typisch weibliche“ Gehirn oder ein „typisch männliches“ Gehirn? Liegt es am Gehirn, dass Männer besser einparken und Frauen besser kochen können?
Unser Gehirn
Das menschliche Gehirn ist unsere Schaltzentrale, ohne die unser gesamter Körper nicht überlebensfähig wäre. Es macht nur 2% der gesamten Körpermasse aus, verbraucht aber gute 20% der Energie.
Wer also hungert, ist auch weniger leistungsfähig im Gehirn! Auch unser Gehirn braucht eine große Portion von unserer Nahrung!
Neugeborene verwenden sogar bis zur Hälfte ihres Energiebedarfs nur für ihr Gehirn. Die Hauptnahrung des Gehirns neben vielen anderen wichtigen Nährstoffen, ist Glucose, also Zucker. Glucose kann der Körper aus komplexen Kohlenhydraten (also Getreideprodukte) gewinnen. Verzichtet man auf komplexe Kohlenhydrate, leidet darunter das Gehirn.
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Unterschiede zwischen Mann und Frau
Schon bei der Größe und dem Gewicht fangen die trivialen Unterschiede der Gehirne von Männern und Frauen an. Das durchschnittliche Gehirn einer Frau wiegt 1330g, das eines Mannes ungefähr 100g mehr. Dabei handelt es sich aber um Durchschnittswerte.
Das bedeutet: Es gibt auch Männer, deren Gehirn kleiner ist und umgekehrt. Dies ist unter anderem abhängig von der zugehörigen Ethnie des Menschen, nicht von dessen Denkvermögen oder Intelligenz. Es ist wie beim Auto: Nicht die Größe, sondern die Leistung entscheidet!
Stand der Gehirnforschung
Zu den Unterschieden der Gehirne von Mann und Frau gibt es viele wissenschaftliche Studien. Und immer wieder werden neue Ergebnisse festgestellt. Je nach Herangehensweise der Studie gibt es zum Teil auch gegensätzliche Ergebnisse. Wir möchten dir heute zwei Studien vorstellen:
Die Amerikanische Studienlage
US-Forscher um Madhura Ingalhalikar von der University of Pennsylvania veröffentlichten erst 2013 die Ergebnisse einer Studie, in der sie große Unterschiede im Gehirn von Mann und Frau festgestellt hatten.
Den Hauptunterschied sahen sie darin, dass bei Frauen beide Gehirnhälften besser miteinander vernetzt seien als bei Männern.
Männer hingegen, so stellten die Forscher fest, hatten innerhalb einer Gehirnhälfte mehr „interne“ Verknüpfungen als Frauen. Dies, so folgerten die Forscher, sei auch in Verhaltens- oder Persönlichkeitsunterschieden zwischen Männern und Frauen sichtbar.
Als Beispiel nennen die amerikanischen Forscher die Fähigkeit von Frauen, analytische und intuitive Informationen besser miteinander verbinden zu können, wohingegen es Männern leichter falle, ihre Wahrnehmung besser in koordinierte Handlungen umsetzen.
Eine neue deutsch-israelisch-schweizerische Studie
Ein großes Team aus internationalen Forschern aus Israel, der Schweiz und Deutschland hat sich ebenfalls die Frage gestellt, ob Männer und Frauen auch abseits der Genitalien verschiedene Kategorien bilden.
Das Forscherteam um Daphna Joel von der Universität Tel Aviv hat ganz aktuell im Herbst 2015 in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences seine Foorschungsergebnisse vorgestellt.
Nach der Auswertung von Aufnahmen von 1400 Kernspintomographien stellten sie fest: Obwohl Unterschiede bestehen, besitzen die meisten Menschen ein Mosaik aus weiblichen und männlichen Anteilen. Somit hat jeder Mann auch „typisch weibliche“ und jede Frau „typisch männliche“ Gehirnanteile.
Gehirne mit ganz und gar männlichen oder rein weiblichen Kennzeichen sind demnach mit nur 6% deutlich in der Minderheit. Ob es daher auch Frauen gibt, die einparken können und die meisten Spitzenköche Männer sind?
Gibt es nun das “typisch weibliche” Gehirn?
Die klare Antwort lautet: Jein!
In der Struktur gibt es zunächst wenig Unterschiede, jedoch wird jedes Gehirn im Laufe seines Lebens von äußeren Faktoren wie Erfahrungen, Ernährung, Verhalten, Genen und Hormonen geformt und verändert.
Es entstehen neue Verbindungen und alte verschwinden. Ein Gehirn kann verkümmern oder trainiert werden.
Frauen, die in einem sehr weiblich geprägten Umfeld aufwachsen, vernetzen ihr Gehirn auch weiblicher als Frauen, die in einem männlich geprägten sozialen Umfeld aufwachsen.
Ebenso können Hormonveränderungen auch Strukturen im Gehirn verändern. Aber auch hier ist nichts für die Ewigkeit: das Gehirn ist flexibel, um auf neue Reize zu reagieren und sich an neue Gegebenheiten anzupassen.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
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