Meritokratie und die damit verbundenen Probleme

Meritokratie wird oft als System dargestellt, das eine gerechte Gesellschaft schafft. Persönliche Leistungen werden auf der Grundlage individueller Anstrengungen und Fähigkeiten erbracht und honoriert.
Meritokratie und die damit verbundenen Probleme

Geschrieben von Redaktionsteam

Letzte Aktualisierung: 12. November 2023

Meritokratie ist ein Belohnungssystem, das auf individuellen Verdiensten basiert. Es stellt also eine Möglichkeit dar, Menschen nach ihren Talenten, Fähigkeiten, Anstrengungen und ihrem Engagement einzustufen.

Heutzutage ist dieses System sowohl in öffentlichen als auch in privaten Einrichtungen weit verbreitet. Es wird zum Beispiel deutlich, wenn ein Unternehmen Mitarbeitende über bestimmte Auswahlverfahren einstellt. Diese fokussieren sich auf die Selektion individueller Kompetenzen und Anstrengungen.

Daher wird die Leistungsgesellschaft oft als ein Weg bezeichnet, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen. Persönliche Errungenschaften werden auf der Grundlage individueller Anstrengungen und Fähigkeiten erzielt, nicht aber aufgrund von Reichtum, Geschlecht, Religion usw. Hinter diesem Modell verbirgt sich jedoch ein ernsthaftes Problem, das es zu berücksichtigen gilt.

Der Ursprung des Begriffs “Meritokratie”

Der Begriff Meritokratie setzt sich aus dem lateinischen Wort meritum (Verdienst) und dem griechischen Suffix krátos (Macht oder Stärke) zusammen. Er impliziert also, dass Hierarchien oder Machtpositionen auf der Grundlage individueller Verdienste bestimmt werden.

Obwohl dieser Begriff schon in der Antike verwendet wurde (wie in Platons Politeia – Die ideale Republik), geht seine moderne Version auf den Soziologen und Sozialaktivisten Michael Young zurück, der den Begriff in seinem Buch Der Aufstieg der Meritokratie (1958). Es ist ein fiktives Werk, in dem der Autor die elitären Tendenzen der formalen Bildung in Europa kritisiert.

In diesem dystopischen und futuristischen Roman ist Verdienst die Verbindung von Intelligenz plus Anstrengung und stellt die zentrale Ursache für soziale Ungleichheit dar. Sie ermöglichte die Schaffung einer elitären Regierung, die sich aus einer intelligenten und fähigen Minderheit zum Nachteil einer unwissenden und inkompetenten Mehrheit zusammensetzt.

In diesem dystopischen Szenario verdient sich der Einzelne durch seine Anstrengung und seinen Einsatz einen Platz in der Elite, während diejenigen, die sich am wenigsten anstrengen, zur Armut verdammt sind.

Meriokratie - Foto von London
Die Politik der Länder und Großstädte scheint die Leistungsgesellschaft als einziges anerkanntes Verwaltungssystem zu unterstützen.

Meritokratie als Ideal einer gerechten Gesellschaft

Obwohl der Begriff in seinen Anfängen eine pejorative Konnotation hatte und mit einer kritischen Absicht geschaffen wurde, machte sich der neoliberale Diskurs diesen Begriff zu eigen und belegte ihn mit einer eher positiven Bedeutung. Demzufolge soll Meritokratie eine gerechte Gesellschaft schaffen.

Hier zeigt sich, dass der neoliberale Begriff in radikalem Gegensatz zu dem von Michael Young in seinem dystopischen Text formulierten Ansatz steht. In Bezug auf diese Wendung äußerte der Autor 2001 seine Enttäuschung über das Schicksal des von ihm selbst geprägten Begriffs.

Das Buch war eine Satire, die als Warnung dienen sollte. Es ist vernünftig, Personen für einen Job aufgrund ihrer Leistungen und Qualifikationen auszuwählen. Wenn aber diejenigen, die in einer Sache als verdienstvoll eingestuft werden, zu einer neuen sozialen Klasse werden, die keinen Platz für andere lässt, verkehrt es sich ins Gegenteil.

-Michael Young

Die Probleme mit der Meritokratie

Obwohl Meritokratie als attraktives Mittel zur Beseitigung von Ungerechtigkeit und Ungleichheit gilt, verbirgt sich hinter dieses Vorstellung eine große Problematik. Michael Sandel, ein politischer Philosoph und Professor an der Harvard University, argumentiert, dass das System zwei Hauptprobleme birgt. Das sind die folgenden:

1. Chancenungleichheit

Sandel sagt, dass die Gesellschaft in Wirklichkeit nicht den leistungsorientierten Idealen entspricht, die sie vertritt. Die grundlegenden Chancen sind nicht für alle Menschen gleich.

Schließlich können wohlhabende Familien Privilegien an ihre Kinder weitergeben, die ihnen Bildungs- und Kulturvorteile für die Aufnahme an den besten Universitäten verschaffen. Laut Sandel gibt es an den renommiertesten Universitäten in den USA deutlich mehr Studierende, die zu den 1 % der einkommensstärksten Familien des Landes gehören, als zu den 60 % mit dem niedrigsten Einkommen.

Die Anstrengungen der höheren sozialen Schichten sind also nicht die gleichen wie die der ärmsten sozialen Gruppen. In diesem Fall haben die Wohlhabenderen größere Möglichkeiten, eine hochwertige Bildung zu erhalten.

Die Ärmsten der Gesellschaft hingegen müssen große Anstrengungen unternehmen, um Zugang zu einer hochwertigen Bildung zu erhalten. Oft müssen sie einen Großteil ihrer Zeit darauf verwenden, ein Einkommen zu erwirtschaften, um zu überleben, was wiederum die Schulabbrecherquote erhöht.

2. Meritokratie führt zu einer arroganten Haltung der Erfolgreichen

Das zweite Problem, auf das Sandel hinweist, ist die Haltung, die die Leistungsgesellschaft bei denjenigen fördert, die Erfolg haben. Das heißt, die am meisten Begünstigten glauben, dass das, was sie erreicht haben, allein auf ihre eigenen Verdienste zurückzuführen ist. Daher glauben sie, dass sie die Belohnungen verdienen, die die Marktwirtschaft den Gewinnern zuteil werden lässt.

Darüber hinaus neigen die “Gewinner” zu der Ansicht, dass diejenigen, die nicht erfolgreich sind, selbst dafür verantwortlich sind, dass es so ist. Dieses Einstellungsproblem führt zu größerer sozialer Ungleichheit. Mit anderen Worten: Die Leistungsgesellschaft erzeugt Arroganz bei den “Gewinnern” und Demütigung bei den Benachteiligten.

Lassen sich die Probleme der Meritokratie lösen?

Obwohl die Meritokratie ihre grundlegenden Fehler hat, ist es wichtig, auch ihre positiven Aspekte für die Gesellschaft hervorzuheben. Es ist bekannt, dass in früheren Zeiten hierarchische Positionen durch Vererbung, Klasse, Familie und andere Faktoren definiert wurden, die nicht vom Individuum abhingen.

Mit der Entstehung der Leistungsgesellschaft, den Wahlmöglichkeiten und der Anerkennung von Leistung wurden jedoch mehrere Türen geöffnet, um zu verhindern, dass der Determinismus die Zukunft bestimmt. Außerdem ist Leistung heute ein wichtiges Kriterium für das reibungslose Funktionieren verschiedener Prozesse und für die Verteilung von Ressourcen.

Obwohl die Meritokratie alles andere als ideal ist, gibt es beobachtbare positive Ergebnisse. Das zeigt sich vor allem in privaten Organisationen mit genau definierten Systemen. Die Probleme der Leistungsgesellschaft lassen sich lösen, solange die Chancengleichheit für alle gewährleistet ist.

Meritokratie - Frau freut sich über ihren Erfolg
Wie definiert man Erfolg? Nicht immer ist der persönliche Verdienst ausschlaggebend dafür, was man unter Erfolg versteht.

Ein System, das noch optimiert werden muss

Wir können feststellen, dass die Leistungsgesellschaft nicht per se ein schlechter Vorschlag ist. Heutzutage ist sie sogar ein sehr nützliches Modell für die Wirtschaft und die Arbeitswelt.

Wenn wir jedoch wollen, dass dieses Konzept wirksam ist und der Gesellschaft wirklich nützt, müssen wir uns der Fehler, die es impliziert, bewusst sein und sie vermeiden. Andernfalls würden wir das Problem, das wir zu bekämpfen versuchen, nämlich soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit, nur noch verschärfen.


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