Was ist narrative Therapie und wofür wird sie eingesetzt?

Die narrative Therapie zielt darauf ab, alternative Geschichten zu konstruieren, die die Menschen ihren Zielen und Wünschen näher bringen. Wir werden dies im Folgenden ausführlich erläutern.
Was ist narrative Therapie und wofür wird sie eingesetzt?
Maria Fatima Seppi Vinuales

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Maria Fatima Seppi Vinuales.

Letzte Aktualisierung: 29. Januar 2023

Die narrative Therapie ist eine Form der Psychotherapie, die darauf abzielt, Menschen zu befähigen, ihre Geschichte auf eine mitfühlendere Art und Weise neu zu schreiben. Dabei geht es darum, sich bewusst zu machen, wie die Geschichten, die im Laufe des Lebens erzählt werden, das Wohlbefinden und die Selbstwahrnehmung beeinflussen.

Im Allgemeinen wird jeder Erfahrung und Interaktion eine Bedeutung gegeben, die beeinflusst, wie jemand sich selbst und die Welt sieht. Auf dieser Grundlage schlägt dieses therapeutische Modell vor, Geschichten zu erstellen, die das Selbstwertgefühl stärken und das Berufsleben, die eigenen Beziehungen und Fähigkeiten verbessern können. Willst du mehr darüber erfahren?

Was ist narrative Therapie?

Die narrative Therapie wurde von Michael White und David Epston erfunden. Ihre Entwicklung ist eng mit der Entwicklung verbunden, die in den 80er- und 90er-Jahren im Bereich der Familien- und systemischen Therapie stattgefunden hat. Eine der stärksten Ideen hat mit der Vorstellung zu tun, dass die Person nicht allein ist, sondern immer in Bezug auf einen Kontext existiert.

White und Epston waren sehr daran interessiert, wie wir uns unsere Lebensgeschichten erzählen und unsere Identität erklären. Sie waren der Meinung, dass wir unser Leben durch solche Geschichten nicht nur beschreiben, sondern auch konstruieren.

Daher ist es wichtig, die Bedeutungen, Werte und Überzeugungen hinter solchen Geschichten zu kennen. Bedeutungen, die nicht nur individuell verankert sind, sondern auch stark vom Kontext und dem sozialen Umfeld bestimmt werden.

Die narrative Therapie ist eine Gesprächsbehandlung, die sich dadurch auszeichnet, dass der/die Therapeut/in und die Person (Co-Autor) gemeinsam an der Konstruktion neuer Geschichten arbeiten, die sich an dem orientieren, was erreicht werden soll.

Sie basiert auf der Idee, dass die Person die Ressourcen und Fähigkeiten dazu hat, während die Rolle des/r Therapeut/in darin besteht, die Person auf dem Weg zur Erkenntnis zu begleiten oder zu führen.

Die narrative Therapie hat eine starke Basis im sozialen Konstruktionismus. Sie geht davon aus, dass Überzeugungen, Ideen, Werte, Normen, Praktiken und Diskurse nicht immer vorhanden sind, sondern Konstruktionen, von denen aus wir uns positionieren, um die Welt zu interpretieren.

Narrative Therapie: Die Grundprinzipien

Für die Konstruktion neuer oder alternativer Narrative stützt sich die narrative Therapie auf verschiedene Prinzipien und Werkzeuge. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten davon vor.

Narrative Metaphern

narrative Therapie - Frau schreibt
Damit die Therapie hilfreich ist, ist es wichtig, die Geschichten so offen und transparent wie möglich zu gestalten.

Die Geschichten, die wir erzählen, sind eine Auswahl an aufeinander folgenden Ereignissen, die im Laufe der Zeit miteinander verbunden sind. Diese Erzählungen geben uns ein Gefühl für uns selbst und unsere Umgebung und dienen auch als Anhaltspunkte für zukünftige Handlungen.

Eine Geschichte ist jedoch nur eine Art, Dinge zu erzählen. Deshalb fordert die narrative Therapie dazu auf, alternative Erzählungen zu entwickeln, die Aspekte oder Details enthalten, die zuvor ausgelassen wurden.

Das Problem benennen

In den ersten Sitzungen wird die Erzählung in der Regel eher ungeordnet dargestellt, so als wäre sie ein Katarakt von Episoden. Je mehr sich die Person äußert, desto geordneter wird dieser Fluss.

An diesem Punkt versucht der/die Therapeut/in, den/die Patient/in dazu zu bringen, dem, was ihn/sie quält oder beschäftigt, einen Namen zu geben. Das kann durch ein Wort oder eine kurze Phrase geschehen. Auf diese Weise soll das Problem”externalisiert ” werden, ein weiteres Prinzip.

Bei der Benennung des Problems müssen mehrere sprachliche Aspekte beachtet werden. Es ist wichtig, dass der/die Patient/in die Worte wählt, die die Situation am besten beschreiben (und dass diese Worte nicht aufgezwungen werden). Außerdem dürfen diese Worte die Situation, die das Problem aufrechterhält, nicht verstärken. Darüber hinaus sollte der/die Therapeut/in dann die Sprache des/r Patienten/in verwenden.

Narrative Therapie: Das Problem externalisieren

Diese Strategie zielt darauf ab, das Problem konkreter und handhabbarer zu machen. Ziel ist es, den/die Patient/in von der Verankerung in einer Diagnose oder einem Etikett zu entpathologisieren.

Die Externalisierung wird als Technik eingesetzt, damit sich die Menschen von dem Konflikt distanzieren können und ihn nicht als Teil ihrer Persönlichkeit wahrnehmen. Durch die Externalisierung des Problems entkräftet man die Vorstellung von sich selbst als “schwach” oder “nutzlos”. 

Berücksichtige den Kontext und die Umstände

Probleme und Geschichten entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern in einem bestimmten sozialen und historischen Kontext, in dem unterschiedliche Machtverhältnisse herrschen.

Diese Umstände zu berücksichtigen, sie explizit zu machen und sie mit der Person zu teilen, hilft zu verstehen, dass viele Situationen direkt mit ihnen zusammenhängen. Dies wiederum trägt dazu bei, die Last der Schuldgefühle zu lindern.

Die Besessenheit von schlanken und athletischen Körpern wird zum Beispiel durch eine Kultur unterstützt, die diese Vorstellungen ständig verstärkt.

Der/die Therapeut/in hilft dem Patienten oder der Patientin, die Bedeutung dieser Vorstellungen zu verstehen.

Nach den Auswirkungen des Problems fragen

Die Therapeutin/der Therapeut leitet die Patientin/den Patienten dann an, herauszufinden, wie das Problem ihr/sein Leben beeinflusst hat. Was waren zum Beispiel die “Tricks” oder “Stimmen”, durch die das Problem entstanden ist, seine Anfänge und der Kontext, in dem es auftritt?

Die Person wird aber auch ermutigt, ihr Problem zu erforschen und herauszufinden, welche Rolle sie bei der Aufrechterhaltung des Problems gespielt hat. Dies sind die so genannten “Fragen der gegenseitigen Beeinflussung”.

Narrative Therapie: Identität ist sozial

Die narrative Therapie basiert auf einer konstruktivistischen oder poststrukturalistischen Sichtweise. Sie geht davon aus, dass die Identität nicht etwas ist, das wir in uns selbst entdecken müssen. Sie ist kein “Fundstück” oder etwas Feststehendes, sondern im Gegenteil, so White, relational und kontextabhängig.

Das eröffnet eine Reihe von Möglichkeiten, bei denen die Person die Fähigkeit hat, ihre “intentionale Identität” zu konstruieren und sich dabei auf ihre Wünsche, Motivationen, Überzeugungen usw. zu konzentrieren.

Wofür wird die narrative Therapie eingesetzt?

narrative Therapie - lächelnde Frau
Wenn du auf der Suche nach persönlichem Wachstum, Selbsterkenntnis und psychischer Stabilität bist, ist es eine gute Idee, die narrative Therapie auszuprobieren.

Die narrative Therapie kann in der Einzel-, Familien-, Paar- und Gruppenarbeit eingesetzt werden. Obwohl ein Arbeitsrahmen festgelegt und die Vertraulichkeit gewahrt wird, gibt es eine gewisse Flexibilität, die mit der Person vereinbart wird.

Es ist möglich, wichtige Menschen, die von den Beschwerden des/r Patient/in betroffen oder daran beteiligt waren, zu den Sitzungen einzuladen.

Durch “dekonstruktives Zuhören” nutzt der/die Therapeut/in diese Lücken oder Unklarheiten in der Geschichte, um die wenig erforschten oder ignorierten Aspekte ans Licht zu bringen. Diese können eine neue Version der Geschichte ermöglichen.

Auf diese Weise hilft diese Therapie, die dominanten Diskurse, die als eindeutige und unveränderliche Wahrheiten postuliert werden, zu entkräften und lädt die Patient/innen ein, eine Version der Geschichte zu konstruieren, die ihren Zielen und Wünschen besser entspricht.

Narrative Therapie und ihre Vorteile

Zu den vielen Vorteilen der narrativen Therapie gehört, dass sie die Konstruktion einer alternativen Geschichte ermöglicht, die andere Wege und Möglichkeiten eröffnet, die funktionaler und gesünder sind.

Darüber hinaus können sich die Menschen durch die Externalisierung vom Problem lösen und sich auf ihre Ressourcen und Fähigkeiten konzentrieren. Und darauf, was sie tun können, um eine Veränderung der Situation, die sie belastet, herbeizuführen.

Durch die Fokussierung auf das Problem im Zusammenhang mit seinem Kontext lässt sich eine neue Sichtweise auf das Problem entwickeln. Gleichzeitig wächst die Selbsterkenntnis, und die Person wird in ihrem Leben gestärkt.

Das Problem ist das Problem, nicht die Person ist das Problem

Dies ist einer der wichtigsten Grundsätze, auf denen die narrative Therapie beruht. Sie arbeitet an der Externalisierung, um die stigmatisierende Wirkung bestimmter Etiketten zu beseitigen.

Dieses Modell der Psychotherapie geht davon aus, dass die Bedeutung eines Ereignisses kein “Produkt des Geistes” ist, sondern eine Konstruktion. Hier findet die Veränderung statt.

Diese Therapieform erweitert die Versionen desselben Ereignisses und ermöglicht es jeder Person, eine proaktive und protagonistische Rolle bei den verschiedenen Entscheidungen ihres Lebens wiederzuerlangen.


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