Wie konnte Beethoven trotz Gehörlosigkeit komponieren?

Beethoven komponierte viele seiner Meisterwerke, als er bereits schwerhörig oder taub war. Welche Strategien verwendete er?
Wie konnte Beethoven trotz Gehörlosigkeit komponieren?

Geschrieben von Juan Camilo Carmona

Letzte Aktualisierung: 22. August 2023

Trotz seines fortschreitenden Hörverlusts fand Beethoven in der Musik eine einzigartige und kraftvolle Form der Kommunikation. Sein kreativer Wagemut und seine unermüdliche Suche nach neuen klangvollen Kompositionen legten den Grundstein für die Entwicklung von Melodien, die unauslöschliche Spuren hinterließen.

Seine zunehmende Hörlosigkeit zwang Beethoven dazu, neue Strategien zu entwickeln, um Meisterwerke wie die Mondscheinsonate, die den Zuhörer in eine Landschaft voller Geheimnisse und Melancholie eintauchen lässt, und die 9. Symphonie mit ihrer universellen Ode An die Freude zu schaffen.

“Nicht sehen trennt von den Dingen, aber nicht hören trennt von den Menschen.”

Immanuel Kant

Beethoven und seine Gehörlosigkeit

Im Alter von 27 Jahren bemerkte Beethoven bereits erste Hörprobleme. Er litt an Tinnitus und hörte auf der einen Seite die hohen Töne und Sprache nicht richtig (Schwerhörigkeit mit Hochton- und Sprachverständlichkeitsverlust) und reagierte auf der anderen Seite überempfindlich auf Schall (Hyperakusis). Diese Schwerhörigkeit wirkte sich zunehmend auch auf das Gemüt des Meisters aus. Er hatte Suizidgedanken und zog sich weitgehend aus der Gesellschaft zurück. In den letzten Lebensjahren war das Genie taub – ein qualvoller Weg für einen hochbegabten Musiker.

Die Ursache für seine Taubheit ist bis heute umstritten: eine Autoimmunkrankheit wie Lupus, eine entzündliche Krankheit wie Sarkoidose, Syphilis, eine Bleivergiftung… wir kennen die Gründe für Beethovens Taubheit nicht.

Trotz der zunehmenden Verschlechterung seiner Hörfähigkeiten entwickelte Beethoven Strategien, um seine Meisterwerke zu schaffen, die uns auch heute noch begeistern. Er wurde immer abhängiger von seinem inneren Instinkt, von seiner Fähigkeit, sich an Musik zu erinnern und in seiner Vorstellungskraft zu komponieren.

Musik war sein Leben und sein Zufluchtsort, auch als er bereits komplett taub war. Einige seiner bekanntesten Werke entstanden in seinem Kopf, ohne eine einzige Note zu hören. Ab seinem 48. Lebensjahr (1818) war Beethoven vermutlich komplett taub, 1824 vollendete er seine 9. Sinfonie mit dem Chorfinale  An die Freudeunserer Europahymne. In diesem Meisterwerk drückt er die Sehnsucht nach reiner Freude aus.

Wie konnte Beethoven trotz Taubheit komponieren?

Heute könnte Beethoven vermutlich behandelt werden, oder ein modernes Implantat könnte ihm helfen. Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Möglichkeiten jedoch sehr beschränkt. Deshalb verwendete Beethoven folgende Techniken, um seine Werke zu vollenden:

Ein spezielles Hörgerät

Beethoven benutzte ein Metallrohr, das er auf sein Klavier legte. Dadurch konnte der Komponist die Schwingungen der Musik in seinem Körper spüren.

Er benutzte außerdem einen Holzstab, den er auf seinen Flügel legte. Das andere Ende nahm er in den Mund, um so den Klang zu spüren. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2018 ergab, dass diese Hilfsmittel wenig hilfreich waren, da seine Hörschwierigkeiten sensorineuraler Natur waren (die winzigen Haarzellen in der Hörschnecke waren geschädigt).

Klavier ohne Beine

Um die Schwingungen der Musik direkter zu spüren, entfernte Beethoven die Beine seines Klaviers und stellte es direkt auf den Boden. Auf diese Weise konnte er die Schwingungen der Musik besser spüren. Diese Taktik ermöglichte es ihm, seine Werke körperlich zu spüren.

Inneres Hören

Beethoven hatte die Fähigkeit, die Musik in seinem Kopf zu hören und mit ihr zu arbeiten. Trotz seiner Taubheit konnte er sich vorstellen, wie die Musik, die er komponierte, klingen würde.

Diese Fähigkeit, die als “inneres Hören” bekannt ist, entwickeln viele Musiker. Doch in seinem Fall wurde sie zu einem wichtigen Werkzeug im Kompositionsprozess.

Unterstützung durch die Musiktheorie

Beethoven hatte ein fundiertes Wissen über die Musiktheorie – eine grundlegende Voraussetzung für die Komposition und das perfekte Zusammenspiel der Noten.

Der Klang der Instrumente

Beethoven hatte ein bemerkenswertes Gedächtnis für Instrumente und Noten. Er konnte sich an den Klang jedes Instruments erinnern und sich vorstellen, wie verschiedene Instrumente zusammen klingen, deshalb war er in der Lage trotz Hörverlust Orchestermusik zu komponieren.

Beethoven und sein tragisches Schicksal

Es gibt wohl nichts Schlimmeres für einen Komponisten, als sein Gehör zu verlieren. Diese Tatsache führte Beethoven in die soziale Isolation. Seine zunehmenden Hörprobleme beeinträchtigten seine Kommunikationsfähigkeiten, was sein Gefühl der Einsamkeit verstärkte.

Der geniale Musiker entfremdete sich zunehmend von der Gesellschaft, was unter anderem aus seinem Heiligenstädter Testament hervorgeht, das Beethoven 1802 an seine Brüder Carl und Johann richtete:

“Welche Demütigung, wenn jemand neben mir stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte oder jemand den Hirten singen hörte, und ich auch nichts hörte: Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück.”

Die Musik war seine Rettung, sie half ihm, seine Einsamkeit zu ertragen und seine Meisterwerke zu schaffen, die wir weiterhin bewundern. Sein Vermächtnis ist inspirierend, einzigartig und außergewöhnlich. 


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